✨ AI Kontextualisierung
„Denn diese Erfindung wird in den Seelen derer, die sie erlernen, Vergesslichkeit bewirken, weil sie ihr Gedächtnis nicht mehr üben.“ Was klingt wie eine umständlich formulierte Kritik am Internet oder an Smartphones, ist in Wahrheit eine Kritik an der Erfindung der Schrift. Diese unheimlich aktuell klingenden Worte legte im 4. Jahrhundert vor Christus der griechische Philosoph Platon seinem Lehrer Sokrates im Dialog „Phaidros“ in den Mund.
Warum kennen wir heute – über 2.000 Jahre später – dieses Werk? Auch hier kommt wieder ein „moderner“ Gedanke ins Spiel: das Kopieren von Dingen. In Schreibstuben in Klöstern kopierten Schreiber die Werke antiker Autoren.
Wenn wir an heutige Versuche denken, literarisches Erbe zu bewahren, dann ist eines der bekanntesten Projekte Google Books. Google digitalisiert Bücher und stellt diese ins Internet. Sicherlich hat Google andere Gründe dafür, Bücher zu „kopieren“ als die mittelalterlichen Schreiber. Eine Gemeinsamkeit besteht jedoch: Diejenigen, die beschließen, was kopiert wird, beschließen auch, woran sich die Menschen später erinnern.
Eine Seite aus einem lateinischen Synonym-Wörterbuch, das um 800 in einer mittelalterlichen Schreibstube geschrieben wurde. Heute befindet sich das Buch in der Stiftsbibliothek Klosterneuburg.
Die Sorge um Fake-News ist ebenfalls ein „alter Hut“. Im 17. Jahrhundert kamen Zeitungen auf und gegen Ende des Jahrhunderts debattierten Zeitgenossen, ob das nicht auch eine Gefahr sei. Denn Lügen und Falschmeldungen könnten über Zeitungen viel schneller und nachhaltiger verbreitet werden. Einige Jahrzehnte später befürchteten Wiener Verleger sogar ein Zeitungssterben. Der Grund: Kaffeehäuser, in denen die Kundschaft kostenlos Zeitung lesen konnte.
Die Zeitungen sind nicht ausgestorben – auch wenn heute schon wieder darüber geredet wird. Der Buchdruck hat die Handschrift nicht verdrängt – auch wenn wir heute fürchten, dass Kinder nicht mehr richtig schreiben lernen. Verleger werden ständig mit den Herausforderungen neuer Medien konfrontiert sein, so wie sie es schon immer waren. Sie sollten einen Blick in die Geschichte werfen und die Herausforderungen annehmen.
Sabine Miesgang ist Historikerin und Journalistin. Sie forscht gemeinsam mit der Stiftsbibliothek Klosterneuburg, mit dem Schwerpunkt Mediennutzung vom Mittelalter bis in die Moderne.